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Befragung zivilgesellschaftlicher Organisationen in Deutschland

Organisationsbefragung ab November im Feld

Die Corona-Krise stellt eine große Herausforderung für zivilgesellschaftliche Organisationen und Initiativen dar. Sie sind es, die meist das soziale und politische Engagement von einzelnen Menschen organisieren und bündeln. Neben der länderübergreifenden Individualbefragung werden daher ab November 2020 auch zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen in Deutschland zu ihren Erfahrungen in der Corona-Krise befragt.

Die Organisationsbefragung wird in allen deutschen Bundesländern durchgeführt und konzentriert sich dort jeweils auf die Landeshauptstadt, eine Großstadt, eine kleinere Stadt und eine ländliche Gemeinde. Dabei werden sowohl die Erfahrungen von eingetragenen Vereinen, also auch die von lose organisierten Initiativen und Bündnissen in den Blick genommen. Die Auswahl erfolgte systematisch und die Antwort jeder angeschriebenen Organisationen bzw. Initiative hilft uns, die Realität der Zivilgesellschaft in der Corona-Krise abzubilden. Erhoben werden etwa die bisherigen Aktivitäten, inhaltlichen Tätigkeitsschwerpunkte, Zielgruppen und Kooperationen sowie politischen Aktionsformen der befragten Akteure. Einerseits werden Einschränkungen und Herausforderungen im Zuge der Corona-Krise beleuchtet, andererseits stehen auch das potenzielle Erschließen neuer Handlungsfelder, sowie die Beziehungen mit und Erwartungen an eine dynamische Gesellschaft im Fokus der Befragung. Ziel ist es, ein umfassendes Bild von der Zivilgesellschaft in der Corona-Krise zu zeichnen und die Bedürfnisse und Forderungen verschiedener Akteure gebündelt zu erfassen. Erste Ergebnisse werden hier als Blogposts dokumentiert.

Die Organisationsbefragung führt unser BUA-Projekt „Potenziale der Zivilgesellschaft“ zusammen mit Prof. Dr. Sabrina Zajak (DeZIM-Institut), Prof. Dr. Priska Daphi (Universität Bielefeld) und Dr. Simon Teune (TU Berlin) durch. Alle Beteiligten sind zugleich Mitglieder des Instituts für Protest- und Bewegungsforschung https://protestinstitut.eu/.

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Surveystart 1. Welle

Die Befragung ist nun im Feld

Nach Wochen des Fragebogendesigns, Testens, Übersetzens ist es nun so weit: Die Bevölkerungsbefragung startet! In den Ländern Deutschland, Österreich, Italien, Polen und Schweden werden Menschen im Rahmen der Längsschnittstudie zum Einfluss der Auswirkungen der Corona-Krise auf ihr zivilgesellschaftliches Engagement befragt werden.

Für viele Menschen brachte das Ausbrechen der Pandemie und den damit einhergehenden Einschränkungen des sozialen Alltags einige grundlegende Veränderungen mit sich, so auch für das solidarische Handeln der Menschen. Einige, die vor der Krise sehr engagiert waren, mussten plötzlich mehr auf eigene Bedürfnisse achten bzw. ihre gewohnten Ort des Engagements sind wegefallen; andere wurden in der Krise politisiert und haben sich verstärkt für andere eingesetzt. Wie die Krise wahrgenommen wird und welche Konsequenzen sich daraus für jede*n einzelne*n und gesellschaftliche Gruppen im Verlauf der Zeit und im internationalen Vergleich ergaben, soll die Studie beleuchten.

Der Fragebogen besteht dabei aus 5 Teilen:

Im ersten Fragenblock geht es um das soziale und politische Engagement der Befragten einerseits, sowie deren Inanspruchnahme von Hilfsangeboten andererseits. Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der emotionalen Wahrnehmung der Corona-Krise. Im Anschluss geht es um die Persönlichkeit der Befragten. Der vierte Teil widmet sich der Einstellung zu Gesellschaft und Politik. Abschließend werden Soziodemographische Faktoren erfasst.

Das interdisziplinäre Team aus politischen Soziolog*innen, Emotionssoziolog*innen und Psycholog*innen an der Freien Universität Berlin und an der Humboldt Universität Berlin sind nun sehr gespannt auf die Antworten der Befragten. Die zweite Befragungswelle wird voraussichtlich zu Beginn des kommenden Jahres starten. Zwischenzeitlich werden an dieser Stelle erste Einblicke in die Auswertung publiziert.

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Corona und die Zivilgesellschaft

Ein Beitrag von Edgar Grande und Swen Hutter

In Katastrophen und Krisen ist nicht nur der Staat gefordert. Solche Notsituationen kennzeichnen auch die spontane Hilfsbereitschaft und die Solidarität der Bürgerinnen und Bürger. Besonders beeindruckend war das große Engagement der Zivilgesellschaft in Deutschland zuletzt in der sogenannten Flüchtlingskrise im Herbst 2015. Sie führte zu einer starken Zunahme des bürgerschaftlichen Engagements und gilt zu Recht als „Sternstunde der Zivilgesellschaft“ (PDF). Auch in der Corona-Krise engagieren sich die Menschen wieder auf vielfältigste Weise, es sind zahlreiche neue Helferinitiativen und Solidaritätsaktionen entstanden. Das Engagement reicht von der Unterstützung alltäglicher Aktivitäten wie Einkaufen und Transport über den Umgang mit Einsamkeit und Angst hin zur Bewältigung sozialer Notlagen und vieler anderer Bedürfnisse, die neue Lösungen erfordern.

Können wir also erwarten, dass auch die Corona-Krise zu einem Aktivierungsschub in der Zivilgesellschaft und zu einer nachhaltigen Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts führt? Wir sollten uns nicht vom ersten Eindruck täuschen lassen. Ein genauer Blick auf die derzeitige Situation in Deutschland und in vorliegende Studien zu den Auswirkungen von Naturkatastrophen auf das soziale Kapital einer Gesellschaft gibt Anlass zu Zweifeln.

Zunächst: In der Corona-Krise ist nicht nur die Wirtschaft zum Stillstand gekommen, sondern auch weite Teile der Zivilgesellschaft. Exemplarisch zeigt sich dies an den Tafeln. Trotz steigender Nachfrage ist fast die Hälfte der Tafeln bundesweit zurzeit geschlossen. Gleichzeitig befürchtet die Verbandsspitze, dass viele Ehrenamtliche (90 Prozent gehören aufgrund ihres Alters zur Risikogruppe) auch nach der Pandemie ihre Tätigkeit nicht wieder aufnehmen. Die Beschränkungen des öffentlichen Lebens, die zur Bekämpfung der Corona-Pandemie eingeführt wurden, haben daher drastisch vor Augen geführt, dass der Zugang zum öffentlichen Raum und die Möglichkeit des gemeinsamen Handelns vor Ort für das bürgerschaftliche Engagement unverzichtbar sind. Die Corona-Krise hat die Bürgerinnen und Bürger nicht nur aktiviert, sie hat die Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements auch erheblich eingeschränkt – und es ist zu befürchten, dass einige dieser Beschränkungen noch längere Zeit weiter bestehen werden.

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina kommt in ihrer Stellungnahme vom 13. April 2020 zum Ergebnis: „Die aktuellen Maßnahmen zur Verlangsamung der Ansteckungen führen … zu einer empfindlichen Schwächung der Zivilgesellschaft. […] Die Aktivitäten der Vereine – von den Sport- und Kulturvereinen über Freundes- und Fördervereine bis zu den Basisorganisationen des politischen und kirchlichen Lebens – sind größtenteils eingestellt. Große Bereiche der organisierten Zivilgesellschaft existieren aktuell lediglich in digital geknüpften Netzwerken in geschrumpfter Form.“ Aber solche digitalen Angebote und Aktivitäten sind offensichtlich nur Notbehelfe, und es ist sehr fraglich, ob sie über längere Zeit hinweg ein hinreichender Ersatz für gemeinsame Aktivitäten sein können. Vor diesem Hintergrund schlägt die Leopoldina vor, den öffentlichen Raum schrittweise für zivilgesellschaftliches Engagement wieder zu öffnen – „sobald irgend möglich“.

Aber wird das ausreichen? Wird sich die Zivilgesellschaft von diesem Shutdown so ohne Weiteres wieder erholen? Die Ergebnisse der vorliegenden empirischen Studien zu den Auswirkungen von Naturkatastrophen, von Erdbeben und Flutkatastrophen, auf das soziale Kapital einer Gesellschaft können bei der Beantwortung dieser Fragen helfen. Am Beispiel der gesellschaftlichen Folgen von Hurricane Katrina, der im Jahr 2005 im Süden der USA große Schäden verursachte, wurde das unter anderem von Lili Wang und Nazifi Emel Ganapati erforscht. Drei Befunde dieser empirischen Untersuchung sind mit Blick auf die aktuelle Situation der Zivilgesellschaft in der Corona-Krise besonders aufschlussreich. Erstens: Katastrophen schwächen kurzfristig das soziale Kapital einer Gesellschaft. Sie zerstören soziale Beziehungsnetzwerke, sie behindern die Aktivitäten von Vereinen, Projekten und Initiativen; und sie schwächen die freiwilligen Zusammenschlüsse der Bürgerinnen und Bürger finanziell und personell. Zweitens: Nach einer Katastrophe wächst das soziale Kapital wieder – aber es wächst langsamer als zuvor, sodass die Gefahr besteht, dass es dauerhaft geschwächt wird. Wie kann das verhindert werden? Hier ist nun der dritte Befund der Studie interessant. Die Autorinnen haben nicht nur die Entwicklung des sozialen Kapitals vor und nach der Katastrophe untersucht, sie haben auch betroffene Regionen in mehreren US-Bundesstaaten miteinander verglichen. Der Vergleich zeigt, dass staatliche Unterstützung nach der Katastrophe für die weitere Entwicklung der Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle spielt. Das soziale Kapital erholte sich dort besonders schnell, wo die Zivilgesellschaft gezielt vom Staat durch Hilfsprogramme unterstützt wurde.

Auch wenn sich diese Forschungsergebnisse nicht so ohne Weiteres auf die aktuelle Situation in Deutschland übertragen lassen, so legen sie doch den Schluss nahe, dass wir nicht nur Rettungsprogramme für die Wirtschaft benötigen, sondern dringend auch koordinierte Programme des Bundes und der Länder zur gezielten Unterstützung der Zivilgesellschaft. Viele der ersten Hilfsprogramme waren nicht auf Non-Profit-Organisationen und zivilgesellschaftliche Strukturen zugeschnitten. Solche Programme sollten zudem der Vielfalt bürgerschaftlichen Engagements in all ihren Formen, in Vereinen, Initiativen und zivilgesellschaftlichen Projekten, gerecht werden. Vom Umfang und der Wirksamkeit der staatlichen Unterstützung für die Zivilgesellschaft wird ganz entscheidend abhängen, wie das neue Gesicht unserer Gesellschaft nach der Corona-Krise aussehen wird.

Lesen Sie den Originalartikel hier.